Donnerstag, 12. Juli 2012

Debatte um Münchner Politikwissenschaft: Theo Stammen

Heute tagt der Unterausschuss zur Hochschule für Politik an der HfP selbst. Im Rahmen einer Vollversammlung um 14 Uhr soll der Unterausschuss nach Hörung der Vertreter von Politischer Wissenschaft und Politischer Bildung jetzt mit den Studierenden beraten. Zur Vorbereitung gab es eine Umfrage zu Zielen und Wünschen der Studierenden an der HfP. Die Frage ist, ob eine solche Vollversammlung, im Idealfall ein Zeichen von Geschlossenheit und Engagement, an einer Hochschule für Berufstätige um 14 Uhr zustande kommen kann.

Währenddessen geht die Debatte auch auf inhaltlicher und wissenschaftlicher Ebene weiter. (Von der aktiven Politik hat sich der Isarmatrose Tobias Schwarz eingemischt.)Nach Prof. Dr. Schönherr-Mann meldet sich ein weiterer Politikwissenschaftler zu Wort. Nach der Politischen Philosophie kommt jetzt einen Antwort aus dem Kernbereich der Politikwissenschaft, der Lehre von den politischen Systemen. Im folgenden ist ein Leserbrief von Prof. Dr. Theo Stammen dokumentiert:



Leserbrief zum Artikel vom 06.07.12 „Kein Ansatz für eine Kooperation“ von Sebastian Krass


Studierende von HfP und GSI sind das Junge Forum der GfA
Prof. Dr. Theo Stammen

Prof. em. für Politikwissenschaft an der Universität Augsburg
Langjähriger Dozent und Vertreter des Lehrbereichs II „Recht und Staat“ an der Hochschule für Politik München

Folgt man dem Bericht von Sebastian Krass in der SZ-Ausgabe vom letzten Freitag (06.07.12, „Kein Ansatz für eine Kooperation“), so hat Professor Edgar Grande, derzeit geschäftsführender Direktor des Geschwister-Scholl-Instituts für Politikwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität, auf der ersten Sitzung des Landtagsunterausschusses zur Zukunft der Hochschule für Politik, der Politikwissenschaft im Allgemeinen und der HfP im Speziellen auf „grandiose“ Weise die Diagnose gestellt und zugleich ein Selbstbild entfaltet, das hinsichtlich seines wissenschaftlichen Alleinvertretungsanspruchs kaum zu überbieten ist. Der imperiale Gestus von Herrn Grande, der keinen Widerspruch zulässt, wäre – als nicht ungewöhnliche professorale Selbstüberschätzung – vielleicht mit einem nachsichtigen Lächeln zu übergehen, wenn Urteil und Verurteilung nicht einige bedenkliche Aspekte hätten, die nicht unwidersprochen bleiben dürfen. Dementsprechend sollen drei Anmerkungen zu dem oben Erwähnten Artikel erfolgen:

Zum Ersten: Wenn sich die offensichtlich gestressten Kollegen vom GSI „wegen ihrer Lehr und Prüfungsbelastung“ nicht länger „freiwillig an der Lehre der HfP“ beteiligen können oder wollen, so könnte die HfP (nach meiner auf langjährigen Erfahrung als Lehrbereichsvertreter an der HfP sich gründenden Einschätzung) durchaus auf die Mitarbeit der GSI-Kollegen verzichten, ohne nennenswerte qualitative Einbußen in der Lehre erleiden zu müssen. Dieser Verzicht wäre hinnehmbar und kompensierbar.

Alumni der HfP versuchen Theorie in der Maxvorstadt
Zum Zweiten: Wenger hinnehmbar ist indes die nachfolgende pauschale Disqualifizierung der Politikwissenschaft, wie sie seit manchen Jahren in der Lehre an der HfP vertreten wird. Kategorisch definiert Herr Grande Politikwissenschaft (einseitig) als „empirische Analyse politischen Handelns“. Diese maßgeblich moderne Entwicklung sei an der HfP völlig „vorbeigegangen“. Der dort gepflegte Ansatz, der Politikwissenschaft als Integrationswissenschaft versteht, sei heute nur noch eine „Fußnote der 50-er Jahre in der Geschichte der Politikwissenschaft“. In seiner Fixierung auf diese Modernität seiner Konzeption übersieht Herr Grande völlig, dass seine allein seligmachende „empirische Analyse des politischen Handelns“ gerade die einseitige und bedenkliche „Versozialwissenschaftlichung“ der Politikwissenschaft heraufbeschworen hat, die erst kürzlich von einer Berliner Kollegin als „Verrat des (vieldimensionalen) Politischen an die (eindimensionale) Politik“ charakterisiert worden ist – zu Recht, wie mir scheint!

Dass dies die vorherrschende, ihre „Modernität“ ausmachende Entwicklung der Politikwissenschaft sein soll, wird niemand freuen, der sich mit der traditionsreichen Geschichte dieser Disziplin etwas auskennt. So besehen wird man wünschen, dass die grandiose „grandische“ Simplifizierung der Politikwissenschaft auf „empirische Analyse“ auf die Dauer nicht einmal eine Fußnote in ihrer mehrtausendjährigen Wissenschaftsgeschichte bleibt.

Zum Dritten: Gänzlich indiskutabel und entsprechend inakzeptabel ist schließlich das, was in dem Bericht von Sebastian Krass als kritische Aussagen einer GSI-Kollegin zur Beurteilung einer Dissertation, die an der HfP entstanden und dort vor Kurzem angenommen worden ist. Es heißt dort, „sie [die Dissertation] erfülle […] nicht die Minimalansprüche für die Vergabe eines Doktortitels“. Dieses Urteil ist deswegen haltlos, weil die zitierte GSI-Kollegin nachweislich die in Frage stehende Dissertation im HfP-Promotionsausschuss (in meinem Beisein) zwar (im wörtlichen Sinne) in der Hand gehabt, jedoch lediglich kurz die erste Seite aufgeblättert, die Arbeit als Ganze aber nicht gelesen hat.

Leidiger Weise ist es zwar eine nicht seltene Übung unter Professoren, über selbst nicht gelesene Texte zu sprechen. In der Regel mag das in der Folge nicht weiter schlimm sein. Schlimm im Sinne einer Unverantwortlichkeit und eines schlechten Stils ist es aber, ohne sorgfältige Prüfung und entsprechend nicht vorhandener Sachkenntnis derart abfällig über das Erstlingswerk eines jungen Wissenschaftlers eine solch wahrheitswidrige und in der Sache unhaltbare Aussage zu treffen.

Als Betreuer und Erstgutachter dieser Dissertation kann ich mir keinen vernünftigen Grund für ein so unhaltbares und unbegründet disqualifizierendes Urteil vorstellen. Es wäre im höchsten Maße bedenklich, ja fatal, wenn die disqualifizierenden Aussagen über die HfP von Herrn Grande und seiner Kollegin unwidersprochen bleiben und die Meinung des Unterausschusses des Landtages bestimmen würden. Ein solches Gewicht verdienen sie nicht.

Theo Stammen

1 Kommentar:

  1. Ob die Geschwister Scholl die Maximen ihres Handelns auch durch „empirische Analyse des politischen Handelns“ gewonnen haben?

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