Mittwoch, 16. Dezember 2009

Worüber diskutieren Europäer. Ein internationales Seminar

20 europäische Studenten der Politikwissenschaft, Journalistik, Kommunikationswissenschaft und der Sozialen Arbeit, darunter auch ich, verbringen das Herbstsemester 2009 an der Schwedischen Hochschule für Sozialwissenschaft der Uni Helsinki.
Am 9. Dezember 2009 bedankten sich die internationalen Studenten an  bei ihren Gestgebern mit einer Runde Präsentationen, Diskussionen und einem Empfang mit Live-Musik danach.
Verteilt über Europa und bei freier Themenwahl entstand eine interessante Mischung:
Chicago Cowboys Go Baltic - Ieva Vītola, Universität Lettland
What for is this "theory" anyway? - Falko Blumenthal, Hochschule für Politik München
What union? Norway and EU - Jo Grunde Straume Gudbrands, Universität Stavanger
 Dank moderner Medientechnik sind alle Präsentationen mit Video und einigen Photos jetzt online
http://tacksaamycket.blogspot.com/

Sonntag, 13. Dezember 2009

Skandinavien: Armut im Wohlfahrtswunderland


Zum Anlass des kommenden Europäischen Jahres zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung 2010 veranstaltete das Nordische Institut in Finnland, das Informationsbüro des Nordischen Mininsterrats "Norden im Fokus" gemeinsam mit den Zeitungen le Monde diplomatique und Ny Tid am 25. November 2009 ein Seminar in Helsinki (mit live Schaltungen nach Stockholm, Kopenhagen und Reykjavik).
Das Thema "Was sind die Kosten der Armut - Perspektiven aus den Nordischen Ländern" wurde von Wissenschaftlern aus allen Ländern Skandinaviens diskutiert.
Asbjørn Wahl, Mitglied im Koordinationskomittee von Forum Soziales Europa und Gewerkschaftsberater, antwortete im politischen Kontext des norwegischen Wohlfahrtsstaates als soziale und demokratische Errungenschaft. Professor Markus Jäntti vom Institut für Sozialforschung an der Uni Stockholm griff das Feld der Kinderarmut in Finnland heraus. Professor Stefan Olafsson vom sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut an der Universität Island konnte vor plötzlich sehr aufmerksamen Publikum über den Fall des Wikingerkapitalismus und seine Folgen für Island berichten. Professor Peder Pederson vom Institut für Ökonomie an der Uni Aarhus, Mitglied des Dänischen Nationalzentrums für Wohlfahrtsforschung, schließlich gab einen generellen empirischen Überblick zu dänischer Armut um dem Volksglauben von der Ausrottung der Armut entgegenzutreten. 

Am lautesten und erfrischesten war Asbjørn Wahl. Als Redner geschult auf den Feiern zum Ersten Mai und auf den Europäischen Sozialform wie auch dem Weltsozialforum gab er den resigniert-liberalen ordnungspolitischen Litaneien Konter. Das Jahr 1979 ist die Scheide: Im selben Jahr als der Nordische Rat die Ausrottung der Armut verkündete, markierte mit der Ölkrise eine Wende des Weltfinanzsystems und den Aufstieg eines neuen Wirtschaftsliberalismus als Leitideologie. Selbst im abgeschotteten linkssozialdemokratischen Norwegen steigt die Armut hand in hand mit neuen, höheren Kapitaleinkommen. Asbjørn Wahl sieht eine wechselseitige Abhängigkeit von Ausbreitung der Arbeit und Akkumulation von Reichtum. Maxime seiner Analysen ist
"The problem of poverty is to be studied first at its sources and secondly in its manifestations". - Richard Tawny, 1931
Für Asbjørn Wahl ist die Existenz von Wohlfahrt und Armut ein Ergebnis der Machtverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit. Wohlfahrtsstaatlichkeit heißt Fortschritt in den Lebens- und Arbeitsbedingungen. Mit Verschiebungen der Machtverhältnisse wird die Wohlfahrtsfrage, die Frage nach der Verteilung des Reichtums, neu gestellt. Dies nennt Wahl gesellschaftliche Macht, deren Basis die Kontrolle über und Eigentum an Kapital und Ressourcen ist. So ist der Wohlfahrtsstaat Ergebnis gesellschaftlichen Kampfes, dessen Basis die Mobilisierung der Bevölkerung ist. Der soziale Frieden ist nicht die Ursache des Wohlfahrtsstaates sondern eher ein (einseitiger) "Waffenstillstand". Die Essenz des Wohlfahrtsstaates ist, große Bereiche der Wirtschaft aus dem Markt herauszunehmen und demokratischer Steuerung zu unterwerfen. Asbjørn Wahl geht hier in die Opposition zum marktwirtschaftlichen Denken an sich und stellt sich in die Tradition reformistischen Denkens einer totgeglaubten Sozialdemokratie.
Von den 1930er Jahrn bis in die 80er sieht Wahl eine Epoche der Kapitalregulation. Kapitalverkehrskontrollen, Kreditkontrollen, staatliche Investitionsmonopole, starre Wechselkurse, Arbeitsgesetzgebung und ein gewaltiger öffentlicher Sektor wurden entwickelt. All das wird als Machtressource verstanden, die jetzt in den Händen der Gesellschaft liegt. Diese Macht, auchals solche buchstäblich verstanden, ist für Asbjørn Wahl Vorraussetzung des Wohlfahrtsstaates. So sehr auch Wahl Verteidiger des Wohlfahrtsstaates ist, hat der jedoch für ihn zwei verschiedene Charakteristiken. Zum einen bietet der Wohlfahrtsstaat Sozialversicherungen, soziale Leistungen, reale Umverteilungen, ja sogar Keime einer Vision einer anderen Gesellschaftsform. Zum anderen jedoch ist ihm der Wohlfahrtsstaat eine Reparaturwerkstatt eines "brutalen und inhumanen Wirtschaftssystems", das Arbeitslosigkeit, Entmündigung und Gesundheitsprobleme hervorbringt. Sarkastisch wird Arthur Balfour zitiert:
"Social policy is the most effective antidote to socialism."
Staatliche Wohlfahrt also, in Deutschland kennt man das aus dem Geschichtsunterricht, als Werkzeug zur Deradikalisierung der Arbeiterbewegung.
Zurück zu 1979, das für Asbjørn Wahl der Drehpunkt ist, an dem in der Krise der Sozialpakt zusammenbricht. In der neo-liberalen Offensive werden Regulierungen abgebaut, der öffentliche Sektor ist am Schrumpfen und die Armut kehr zurück. Diese Umverteilung ist eine Verschiebung des Gleichgewichts der Kräfte. Von öffentlich zu privat, von der Arbeit zum Kapital, von den Armen zu den Reichen. Im Schritt mit steigender Ungleichheit und versträktem Druck auf den Wohlfahrtsstaat vergrößern die reichsten 10% der norwegischen Bevölkerung ihren Anteil am Volksvermögen auf über 30%. Heutzutage diagnostiziert Wahl eine regressive Gesellschaftsordnung. Wirtschaftsaufschwünge haben keine Auswirkung auf die Armut und eine soziale Reproduktion der Armut nimmt ihren Lauf. Während Armutsbekämpfung von staatlicher Seite versagt, wächst die Unterstützung für rechten Populismus.
Das System der "Workfare", in Deutschland umgesetzt als "Fördern und Fordern" in Form der sogenannten "1 Euro-jobs", sieht Asbjørn Wahl als Barriere zu Wohlfahrt. "Workfare" verstärkt das Konzept homo oeconomicus und sieht statt strukturellen Gründen der Arbeitslosigkeit mangelnde Arbeitsethik und Arbeitsanreize als das zu bekämpfende Problem. Diese von Thatcher angestoßene Form der Sozialpolitik ist inzwischen europäisch etabliert sowohl bei Sozialdemokraten als auch bei Konservativen und wird von akademischer Seite nur von wenigen, unter ihnen John Veit-Wilson, widersprochen. Jedoch ist "Workfare" nur ein Symptom eines größeren Paradigmenwandels: Risiken werden individualisiert, mehr und mehr Bereiche werden dem Markt ausgesetzt, universale soziale Rechte werden in einkommenabhängige Leistungen umgewandelt, private management Methoden werden weitreichend eingesetzt und die öffentliche Hand (und damit die demokratische Gesellschaft) ihrer Macht beraubt. Als Alternative zu staatlicher Wohlfahrtsvorsorge wird private Mildtätigkeit propagiert.
Mit dieser Politikentwicklung geht der Niedergang der europäischen Sozialdemokratie einher. Konservativ-liberale Regierungen und Meinungsführer gewinnen langfristig Boden, trotz der proklamierten "Neuen Mitte" von Blair/Schröder vor 12 Jahren. Asbjørn Wahl meint hier, eine grundlegende ideologische Krise in der Linken reflektiert zu sehen. Wahl´s Lösungsansatz ist jedoch nicht ein Kampagnengewitter der sozialen Bewegungen und Nicht-Regierungsorganisationen. Er fordert, Machtquellen zu identifizieren, Konzentration auf Beschränkungen des Marktes und auf eine breite soziale Mobilisierung hinzuarbeiten. Machtzugewinne der Gewerkschaften und der Linken müssen spürbar werden durch umgehende Steigerung der sozialen Leistungen.

Das Überraschende an Asbjørn Wahls Vortrag war jedoch die Reaktionen auf ihn. Anstand ihn in die linke Ecke zu schicken zu schmollen wurde sein klassenbwusster Standpunkt, ich kann es kaum anders formulieren, als selbstverständlich hingenommen und von dieser Perspektive diskutiert. Professor Pedersen versuchte zwar später das Seminar wieder in empirisch sozialliberale Gewässer zu leiten, doch scheint die sakndinavische Öffentlichkeit, soweit man bei Wissenschaftlern, Journalisten, Intellektuellen und Doktoranden von Öffentlichkeit sprechen darf, von einer liberalen Diskurshegemonie weit entfernt. Vielleicht kein Löwe, doch ein Hoffnungsschimmer aus Mitternacht.

Markt wird gemacht: Deutsch-Finnische Wirtschaftsförderung

Wenn Invesitionsbroschüren oder web sites des Wirtschaftsstandortes durchgeblättert werden, sieht das alles sehr, sehr frisch und nach Hochtechnologie aus. Dennoch steht noch keine Exportwirtschaft rein auf Silizium und Dienstleistungen.
Zwar machen die großen der Branchen auch den großen internationalen Handel aus. Dennoch gehören die kleinen und mittleren Unternehmen und ihre Aktivitäten zur Wirtschaftsinfrastruktur. Von deutscher Seite aus tritt hier das Netz der Außenhandelskammern auf den Plan. Nach dem Vorbild der deutschen lokalen Industrie- und Handelskammern tragen deutsche und einheimische Firmen gemeinsam einen Verein, der in Kooperation mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft, Unternehmerverbänden und Wirtschaftsförderungsgesellschaften Dienstleistungen erbringen. Die AHKs unterstützen die Geschäftspartnersuche, erstellen Markstudien, machen Standortberatung und geben Rechts- und Steuerauskünfte. Im Fall Deutschlands ist hier das Feld Messevermittlung von besonderer Bedeutung.


Im finnischen Fall existiert die Deutsch-Finnische Handelskammer (Saksalais-Suomalainen Kauppakamari) und ihr (jedoch rein exportorientierter) Gegenpart Finpro. Die Bundesrepublik ist, auch "mithilfe" der aktuellen Wirtschaftskrise, der wichtigste Handelspartner für Finnland.
Handel mit Deutschland machte im Januar 2009 (noch vor Schweden, der Russischen Föderation und den USA) 10,5% des finnischen Exports oder 2,3 Milliarden EUR aus. Der Import aus Deutschland hat ein Volumen von 15,1% der Importe nach Finnland oder in absoluten Zahlen 3,2 Milliarden EUR. Die Bundesrepublik löste die Sowjetunion nach ihrem Zusammenbruch als größter Handelspartner Finnlands ab und generiert seitdem 10 - 15% des finnischen Außenhandels. Der derzeitige Abstand zu den Mitbewerbern wird durch die Wirtschaftskrise verstärkt, die etwa den Handel mit der Russischen Föderation weitaus stärker trifft als den deutsch-finnischen Handel. So ist seit 2007 der russisch-finnische Handel um etwa 50% eingebrochen, während 2008 der deutsch-finnische Handel um "nur" 30% zurückging. Der russische Export nach Finnland ist jedoch vor allem Öl. Im Bereich der Waren und Dienstleistungen sind die Länder der Europäischen Union, allen voran Schweden, die größten Konkurrenten Deutschlands um den finnischen Markt.
Im Jahr 2008 machten Importe aus Finnland 1,0% (8,1 Milliarden EUR) des deutschen Importvolumens aus. Im gleichen Zeitraum exportierte die deutsche Wirtschaft 1,0% (9,9 Milliarden EUR) ihres Volumens nach Finnland. In absoluten Zahlen ist damit Finnland zwar weit abgeschlagen hinter den wichtigsten Handelspartnern, den Niederlanden (Import) und Frankreich (Export), im pro Kopf Verbrauch jedoch kauft ein Finne mehr deutsche Produkte als jeder Franzose.
Das Portfolio des deutschen Exports nach Finnland ist geradezu klassisch zu nennen. Jeweils etwa ein Fünftle machen Autos, Maschinenbau und Elektrotechnik aus. Weiterhin wichtig sind Chemie (15%) und Metalle (10%). Im starken Wachstum begriffen ist die Lebensmittelindustrie (5%), seit Lidl in den finnischen Markt eingestiegen ist und deutsche Marken sich in die Regale der finnischen Supermarktkooperativen eingekauft haben. Das mittelfristige Projekt der Deutsch-Finnischen Handelskammer ist, bei deutschen Drogerieketten Interesse für den finnischen Markt zu wecken, wo diese Form des Einzelhandels unbekannt ist. Die AHK verspricht sich davon, den von Konsumgenosschenschaften und Landwirtschaftskooperativen beherrschten Einzelhandelsmarkt aufzumischen und das Preisniveau zu senken.
Nahezu ein Viertel des finnischen Exports nach Deutschland machen Papier und Papiererzeugnisse aus. Metalle, vor allem Stahl, 17%, Elektrotechnik 14%, Maschinen 10% und 4% Holz. Elektrotechnik ist hier nahezu ein Synonym für Nokia, Finnlands größten Konzern und Weltmarktführer auf dem Mobilkommunikationsmarkt. Im weiteren werden Autos mit 6% gezählt, was größtenteils dem Porschewerk in Finnland zuzuschreiben ist, sowie 4% (aus Russland stammendem) Öl.
Wichtig in den nächsten Jahren wird sein, ob die nachlassende Bedeutung der finnischen Papierindustrie aufgefangen werden kann. Umgekehrt ist interessant, dass die Reiseweltmeister mit 84,7 Milliarden EUR Ausgaben für Tourismus gerade 0,4% in Finnland ausgeben. Hier, in einem Bereich, wo Bauchentscheidungen mindestens so wichtig sind wie der Preis für den Flieger, stoßen deutsche Behäbigkeit und finnische Technikbegeisterung aneinander: Selbst auf Tourismusmessen in Deutschland verweisen finnische Repräsentanten auf eine web site, während in der Mehrzahl der deutschen Haushalte noch Prospekte gehortet werden.






Für alle Daten ist die Quelle, soweit nicht anders angegeben, eine Vorlesung von Bernd Fischer am 24. November 2009, Verantwortlicher für Öffentlichkeitsarbeit an der Deutsch-Finnischen Handelskammer an der Handelshochschule Helsinki (Helsingin Kauppakorkeakoulu), einer der Zweige der Aalto Universität (Aalto yliopisto) in Gründung.

Dienstag, 10. November 2009

Finnische Universität für Innovation. Ein Vorgeschmack auf wolkige work shops und ein Glimmer Hoffnung

Finnland ist ein kleines Land, in der Halbperipherie zwischen der Russländischen Föderation und Schweden. Obwohl, oder gerade wegen, der erst in den 1960er Jahren abgeschlossenen Industrialisierung hat sich der nordische Wohlfahrtsstaat in den vorderen Plätzen der internationalen Hitlisten in den Bereichen soziale Gleichheit, Bildung und Innovationspolitik eingenistet.

Reicht man der Industrie jedoch den kleinen Finger (Deregulierungen im Bereich der Technologie seit Mitte der 1990er, Ausrichtung der universitären Forschung an den Bedürfnissen der Wirtschaft, ...), wird sie erst recht hungrig. Zum anderen ist das historisch an Weltabgeschiedenheit und Vollbeschäftigung gewöhnte Finnland auf neue Industrien (und damit Technologien, siehe Nokia) angewiesen. Nach den weitreichenden Umstrukturierungen der finnischen Universitätslandschaft der letzten paar Jahre gehen Staat und Wissenschaft einen Schritt weiter. In Helsinki verschmelzen die Technische Hochschule (TKK - Helsingin teknillinen korkeakoulu), die Handelshochschule (HSE - Helsingin kauppakorkeakoulu) und die Hochschule für Kunst und Design (TaiK – Helsingin taideteollinen korkeakoulu) im Januar 2010 zur Aalto Universität Helsinki (A - Aalto-yliopisto). Der Dreiklang von Technik- und Ingenieurswissenschaften, Wirtschafts- und Organisationswissenschaften und theoretischer wie angewandter Gestaltung soll ein Zugpferd für Innovationssysteme werden. Eine international sichtbare Über-Universität soll brauchbare Studierende und Forscher anlocken, spezialistenhungrige Unternehmen nach Helsinki holen und so Zündung eines neuen Wohlstandsmotors werden.
Einen Vorgeschmack auf die brandneue finnische Universität für Innovation, so ein vorheriger Arbeitstitel für die neue Superuni, gab das Symposium Open 2009. Die Doktoranden des Medienlabors der Hochschule für Kunst und Design luden 5.-6. November ein, sich Präsentationen von Promotionsprojekten anzuhören und wilde Wissenschaftler aus Finnland (und einen aus Italien) zu beäugen, die zu Offenen Systemen, Offener Kooperation und zeitgenössischen Organisations- und Prozessformen sprachen.
Natürlich kamen Spezialthemen wie etwa “Openness, Inclusion and Participation in Museums” (Mariana Salgado) oder “Allotment Games: Case-study of a Fan-Based Board-game Production” (Andrew Gryf Paterson) zu Worte, doch im Allgemeinen halten sich hier an der Front der Hochkreativen demokratische Weltverbesserer mit Projekten wie “Microdemocracy” (Tanja Kotro, Mari-Sanna Paukkeri) oder “Open Participation” (Matti Nelimarkka) relativ gut gegen die angeblich drohende Verwandlung kaffeevernichtender Studenten in vermarktwirtschaftende Zyniker.
Auch wenn die Themen selbst nicht sonderlich überraschen waren – selbstverständlich kam auch der Komplex persönliche Information (Jamo Koponen) zum tragen – sind diese Foren Anhaltspunkte, was zukünftige Entscheider prägt und was ihnen wichtig ist. Zum einen sind diese Leute hochausgebildet, haben keine Probleme mehr mit informationstheoretischen Fragen und mögen auch mal beiläufig ihre Überlegenheit beim Gespräch über Emergenz oder komplexe Systeme hervorblitzen lassen. Zum anderen gehören sie zu der Kohorte einer bis in die Vierziger hineingeschleppten Jugend: Der zweite Projektor macht die Zettelpost via Quype/Twitter öffentlich, die dominanten Narrative und Modelle sind der Popkultur entlehnt. Kurze Aufmerksamkeitsspannen werden positiv eingeholt durch multilineare Präsentations- und Kommunikationsformen, auf den in Reih und Glied aufgereihten Apple-Rechnern machen sich streamende Zaungäste via Skype und Twitter bemerkbar.

Inhaltlich vor Allem interessant ist die letztendlich gelungene Ablösung des Begriffs Gestaltung (Design) von seiner Konnotation als visuelles Hilfswerkzeug. Über das Industrial Design und Process Design sind die Doktoranden der Kunsthochschule bei Dienstgestaltung und Strategiegestaltung angelangt und brechen in die Domänen der Logistikingenieure, Organisationswissenschaftler und anderer (Post-)Fordisten ein.
Mit buzz words wie “Bazaar Style” bricht etwa Massimo Menichinelli über uns herein, fordert offene kollaborative Netzwerke ein, die als Massenprojekte nicht-lineare Problemlösungen entwickeln können und durch das Emergenzprinzip allein aus der Produktivkraft Produktivität hervorbringt und Innovationsprozesse ermöglicht. Menichinelli schlägt ein Open P2P Design als Metadesign für Kollaboration vor. Als Beispiele (die jeweils Teilaspekte repräsentieren), nennt er u.a. ThinkCycle, OpenProcessing oder OpenArchitecture. Leider geht die Trennlinie zum Absurden verlorn und die Liste der vielversprechenden Keimzellen für libertäre Organisationen von Arbeit und Produktion wird immer länger, bis sie auch Sozialwährungen und andere Späße beinhaltet.
Doch wie sooft stößt sich der objektive Rettungsschwimmer der Marktwirtschaft subjektiv an den Realitäten derselben. Eine Gemeinschaft von Ausmaßen, in denen verteilte Kreativität und andere hübsche sozio-mathematische Ideen wirksam werden, setzt eine Phase tiefer Vertrauensbildung voraus, nach der erst substanzielle Arbeitszeit in die kollaborative Wolke gesteckt wird und eine (realistische) Hoffnung auf Mehrwert für bezahlte Arbeit besteht. So bleibt es dabei, von der Potenzierung der Produktivkräfte zu reden und auf Projekte wie etwa Linux oder Mozilla zu hoffen, die die proprietäre Umwelt überleben und die Wahrnehmungs- wie Hemmschwelle dramatisch senken.

Lesetipp: Wir nennen es Arbeit: Die digitale Boheme oder: Intelligentes Leben jenseits der Festanstellung, Holm Friebe/Sascha Lobo

Freitag, 25. September 2009

Innovationsjournalismus. Was wir jetzt brauchen?

Zumindest in Skandinavien sind Folgen, Rahmenbedingungen und Möglichkeiten von Wissenschaft und Technik fester Bestandteil der sozialwissenschaftlichen Curricula. Auch in der Regierungspolitik nehmen "science and technology policy" Raum ein. Den nächsten Schritt hat David Nordfors, ein schwedischer Wissenschaftler, gemeinsam mit Kollegen an der Uni Stanford gemacht: Wie Wissenschaft, Wissenschaftler, Institute, Universitäten, Firmen, Start-Ups, Industriepolitik usw. usf. gemeinsam etwas gebären, was wir seit Schumpeter "Innovation" nennen, ist nicht nur Aufgabe der akademischen Forschung. Innovationen, sozialer wie auch wirtschaftlicher und technischer Art, müssen kommuniziert, diskutiert und bewertet werden. Das ist die Aufgabe des Journalismus. Nordfors ist Geschäftsführer des Forschungszentrum Innovation Journalism an der Uni Stanford. Hier wird geforscht, diskutiert und ausgebildet. Überschrift der Aktivitäten und Partnerschaften von Pakistan bis zur Deutschen Welle: "Journalismus ist der Schlüssel um Innovationssysteme mit der demokratischen Gesellschaft zu verbinden." Das allgemeine Ziel ist eine Definition von Journalismus in Bezug auf dessen Publikum, nicht dessen Trägers.

Nordfors und Kollegen scheinen recht erfolgreich zu sein, das Konzept Innovation Journalism zu verkaufen. So wurde am 25. September 09 die "Erste Nordische Konferenz zum Innovationsjournalismus" an der Uni Helsinki abgehalten.
Das Forschungszentrum Kommunikation der Uni Helsinki lud unter dem Titel "Weather-casters of Future? The Role of Journalism in Understanding Technological and Social Innovations" Wissenschaftler und Journalisten zur Konferenz. Zwar bildeten Doktoranden und Studierende die Mehrheit des Publikums, doch waren zumindest laut der Teilnehmerliste die Hauptstadtpresse, das öffentlich-rechtliche Fernsehen, die größeren Verlage und, angeführt von Nokia, einige ICT-Unternehmen vertreten. Mit Blog und Live-Twitter wehte ein Hauch von Hypermoderne durch die ehrwürdige Helsingin Yliopisto.
Moderiert von Hannu Nieminen vom Forschungszentrum Kommunikation wechselten sich zwei Vorträge (David Nordfors, Uni Stanford und Kevin G. Barnhurst, Uni Illinois at Chicago) mit zwei Podiumsdiskussionen ab.

David Nordfors fordert einen Journalismus über Innovation ein. Er versteht unter Innovation einen "Prozess der Wertschöpfung durch neue Möglichkeiten". Dieser Journalismus hat die Aufgabe, Innovationsprozesse und seine "(Öko-)Systeme" zu kommunizieren, seine technischen, wirtschaftlichen und politischen Aspekte zusammenzuführen und sich in die Lage versetzen, die Zukunft selbst zu diskutieren. Ziel eines Innovationsjournalismus ist die Verankerung der Innovationsfrage im öffentlichen Bewusstsein.

Ein eigenständiger Innovationsjournalismus soll ihrer Bedeutung gerecht werden. Nordfors geht so weit, ein "Innovationssystem" mit dem demokratischen System zu vergleichen: Das demokratische System verteilt Macht durch Stimmabgabe, das marktwirtschaftliche Innovationssystem verteilt "Macht" durch Geldströme. (Nordfors hat für Apple "gewählt", als er sich ein iPhone kaufte.) Weiter geht der schwedische Wissenschaftler davon aus, dass die alte Ökonomie der industriellen Massenproduktion durch eine Innovationsökonomie abgelöst wurde. Die neue ökonomische Herausforderung ist die Erneuerung, die vorhergehende Produkte und Dienstleistungen ersetzt. Laut William Swope (Intel) kommen 90% des Umsatzes von Intel-Produkten die jünger als ein Jahr sind.

Direkt gegen die Rufe vom langsamen Sterben des Journalismus und seiner Aufgaben gerichtet, sieht Nordfors ein ökonomisches Modell des Journalismus (den er übrigens begrifflich stark von dem der (Träger-)Medien getrennt sehen will). Aufmerksamkeit, gesehen als ein knappes Gut, verlangt nach einem Makler. Da Momente der Aufmerksamkeit für ein Produkt oder eine Unternehmung Finanzierung, Kunden, Industriekontakte und politisches Wohlwollen bedeuten können, wird der Aufmerksamkeitsmakler zum Macht- und Einflussmakler. Als beispielhaft präsentiert Nordfors den Blog TechCrunch. Was als Nachrichtenblog für interessante Technik-StartUps begann, ist heute ein gut verdienendes Unternehmen, das sein Geld mit Unternehmensprofilen und als Konferenzveranstalter verdient. Michael Arrington, Gründer von TechCrunch, gehört laut Huffington Post und Time Magazine zu den einflussreichsten Entscheidern in der Branche. Der Makler Journalimus interagiert mit der Öffentlichkeit in dessen Eigenschaft als Publikum als auch mit der Öffentlichkeitsarbeit der Industrie.(siehe dazu Nordfors Artikel vom Oktober 2006) In diesem Spannungsfeld von Interessen entsteht so ein Kommunikationssystem von Innovationen, das wiederum Teil des Innovationssystems ist.
Ein weiteres Argument von Nordfors hört sich beruhigenderweise etwas konservativer und bildungsbürgerlich an. Innovation ist die Einführung von etwas Neuem und benötigt Kommunikation, insbesondere Erklärung und Rechtfertigung des Neuen. Aufgabe des Journalismus ist zum einen die Sprache weiterzuentwickeln um neue Konzepte begreifbar zu machen und brauchbares Vokabular anzubieten. Zum anderen müssen innovative Prozesse und Ergebnisse in eine erzählerische Logik eingebunden und vorgestellt werden.

Innovationsjournalismus muss seinem eigenen Inhalt und der (technischen) Entwicklung gerecht werden. Nordfors stellt die gegliederte Redaktion als vertikale Kanäle dar, die horizontale Topoi zergliedern. Um den technischen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Aspekten gerecht zu werden, sollen die traditionellen Ressorts aufgehoben werden, deren Begrenzungen im multimedialen und digitalen Raum sowieso schon ihre Berechtigungen verloren haben. Leider bleibt die eigentliche Frage nach einem zeitgemäßen Ansatz, Information qualitativ und inhaltlich zu gliedern unerwähnt.
Nachdem die traditionelle Redaktion hingerichtet ist, wird zum Angriff auf den nationalstaatlichen Journalismus geblasen. Während die Wirtschaft bereits global ist, bleibt der internationale Journalismus im Politikressort. Wirtschaftsjournalismus ist für Nordfors noch weitgehend national in der Berichterstattung. Dasselbe gilt für Wissenschafts- und Technikjournalismus. Naturgemäß bleibt das Feuilleton unerwähnt.


Lesetipp: Suchmaschinen: Die Welt als Datenbank, David Gugerli

Erster Eintrag in ersten Blog

Seit einiger Zeit will ich "was schreiben". Was die Frage aufwirft, was ich damit mache. Nachdem ich nun zu meiner Generation gehöre ob ich will oder nicht, werde ich nun eben versuchen zu "bloggen".

Ich werde hier ganz bestimmt keine Selbstversuche in öffentlicher Seelenklemptnerei betreiben. Die Einträge werden wohl eher Artikel werden zu den Themen, die mich interessieren.

Wenn das dann noch jemanden interessiert, mag das überraschend sein, mich aber dennoch freuen.

Lesetipp: Der letzte Kommunist: Das traumhafte Leben des Ronald M. Schernikau, Matthias Frings