Dienstag, 10. November 2009

Finnische Universität für Innovation. Ein Vorgeschmack auf wolkige work shops und ein Glimmer Hoffnung

Finnland ist ein kleines Land, in der Halbperipherie zwischen der Russländischen Föderation und Schweden. Obwohl, oder gerade wegen, der erst in den 1960er Jahren abgeschlossenen Industrialisierung hat sich der nordische Wohlfahrtsstaat in den vorderen Plätzen der internationalen Hitlisten in den Bereichen soziale Gleichheit, Bildung und Innovationspolitik eingenistet.

Reicht man der Industrie jedoch den kleinen Finger (Deregulierungen im Bereich der Technologie seit Mitte der 1990er, Ausrichtung der universitären Forschung an den Bedürfnissen der Wirtschaft, ...), wird sie erst recht hungrig. Zum anderen ist das historisch an Weltabgeschiedenheit und Vollbeschäftigung gewöhnte Finnland auf neue Industrien (und damit Technologien, siehe Nokia) angewiesen. Nach den weitreichenden Umstrukturierungen der finnischen Universitätslandschaft der letzten paar Jahre gehen Staat und Wissenschaft einen Schritt weiter. In Helsinki verschmelzen die Technische Hochschule (TKK - Helsingin teknillinen korkeakoulu), die Handelshochschule (HSE - Helsingin kauppakorkeakoulu) und die Hochschule für Kunst und Design (TaiK – Helsingin taideteollinen korkeakoulu) im Januar 2010 zur Aalto Universität Helsinki (A - Aalto-yliopisto). Der Dreiklang von Technik- und Ingenieurswissenschaften, Wirtschafts- und Organisationswissenschaften und theoretischer wie angewandter Gestaltung soll ein Zugpferd für Innovationssysteme werden. Eine international sichtbare Über-Universität soll brauchbare Studierende und Forscher anlocken, spezialistenhungrige Unternehmen nach Helsinki holen und so Zündung eines neuen Wohlstandsmotors werden.
Einen Vorgeschmack auf die brandneue finnische Universität für Innovation, so ein vorheriger Arbeitstitel für die neue Superuni, gab das Symposium Open 2009. Die Doktoranden des Medienlabors der Hochschule für Kunst und Design luden 5.-6. November ein, sich Präsentationen von Promotionsprojekten anzuhören und wilde Wissenschaftler aus Finnland (und einen aus Italien) zu beäugen, die zu Offenen Systemen, Offener Kooperation und zeitgenössischen Organisations- und Prozessformen sprachen.
Natürlich kamen Spezialthemen wie etwa “Openness, Inclusion and Participation in Museums” (Mariana Salgado) oder “Allotment Games: Case-study of a Fan-Based Board-game Production” (Andrew Gryf Paterson) zu Worte, doch im Allgemeinen halten sich hier an der Front der Hochkreativen demokratische Weltverbesserer mit Projekten wie “Microdemocracy” (Tanja Kotro, Mari-Sanna Paukkeri) oder “Open Participation” (Matti Nelimarkka) relativ gut gegen die angeblich drohende Verwandlung kaffeevernichtender Studenten in vermarktwirtschaftende Zyniker.
Auch wenn die Themen selbst nicht sonderlich überraschen waren – selbstverständlich kam auch der Komplex persönliche Information (Jamo Koponen) zum tragen – sind diese Foren Anhaltspunkte, was zukünftige Entscheider prägt und was ihnen wichtig ist. Zum einen sind diese Leute hochausgebildet, haben keine Probleme mehr mit informationstheoretischen Fragen und mögen auch mal beiläufig ihre Überlegenheit beim Gespräch über Emergenz oder komplexe Systeme hervorblitzen lassen. Zum anderen gehören sie zu der Kohorte einer bis in die Vierziger hineingeschleppten Jugend: Der zweite Projektor macht die Zettelpost via Quype/Twitter öffentlich, die dominanten Narrative und Modelle sind der Popkultur entlehnt. Kurze Aufmerksamkeitsspannen werden positiv eingeholt durch multilineare Präsentations- und Kommunikationsformen, auf den in Reih und Glied aufgereihten Apple-Rechnern machen sich streamende Zaungäste via Skype und Twitter bemerkbar.

Inhaltlich vor Allem interessant ist die letztendlich gelungene Ablösung des Begriffs Gestaltung (Design) von seiner Konnotation als visuelles Hilfswerkzeug. Über das Industrial Design und Process Design sind die Doktoranden der Kunsthochschule bei Dienstgestaltung und Strategiegestaltung angelangt und brechen in die Domänen der Logistikingenieure, Organisationswissenschaftler und anderer (Post-)Fordisten ein.
Mit buzz words wie “Bazaar Style” bricht etwa Massimo Menichinelli über uns herein, fordert offene kollaborative Netzwerke ein, die als Massenprojekte nicht-lineare Problemlösungen entwickeln können und durch das Emergenzprinzip allein aus der Produktivkraft Produktivität hervorbringt und Innovationsprozesse ermöglicht. Menichinelli schlägt ein Open P2P Design als Metadesign für Kollaboration vor. Als Beispiele (die jeweils Teilaspekte repräsentieren), nennt er u.a. ThinkCycle, OpenProcessing oder OpenArchitecture. Leider geht die Trennlinie zum Absurden verlorn und die Liste der vielversprechenden Keimzellen für libertäre Organisationen von Arbeit und Produktion wird immer länger, bis sie auch Sozialwährungen und andere Späße beinhaltet.
Doch wie sooft stößt sich der objektive Rettungsschwimmer der Marktwirtschaft subjektiv an den Realitäten derselben. Eine Gemeinschaft von Ausmaßen, in denen verteilte Kreativität und andere hübsche sozio-mathematische Ideen wirksam werden, setzt eine Phase tiefer Vertrauensbildung voraus, nach der erst substanzielle Arbeitszeit in die kollaborative Wolke gesteckt wird und eine (realistische) Hoffnung auf Mehrwert für bezahlte Arbeit besteht. So bleibt es dabei, von der Potenzierung der Produktivkräfte zu reden und auf Projekte wie etwa Linux oder Mozilla zu hoffen, die die proprietäre Umwelt überleben und die Wahrnehmungs- wie Hemmschwelle dramatisch senken.

Lesetipp: Wir nennen es Arbeit: Die digitale Boheme oder: Intelligentes Leben jenseits der Festanstellung, Holm Friebe/Sascha Lobo

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