Mittwoch, 16. Dezember 2009

Worüber diskutieren Europäer. Ein internationales Seminar

20 europäische Studenten der Politikwissenschaft, Journalistik, Kommunikationswissenschaft und der Sozialen Arbeit, darunter auch ich, verbringen das Herbstsemester 2009 an der Schwedischen Hochschule für Sozialwissenschaft der Uni Helsinki.
Am 9. Dezember 2009 bedankten sich die internationalen Studenten an  bei ihren Gestgebern mit einer Runde Präsentationen, Diskussionen und einem Empfang mit Live-Musik danach.
Verteilt über Europa und bei freier Themenwahl entstand eine interessante Mischung:
Chicago Cowboys Go Baltic - Ieva Vītola, Universität Lettland
What for is this "theory" anyway? - Falko Blumenthal, Hochschule für Politik München
What union? Norway and EU - Jo Grunde Straume Gudbrands, Universität Stavanger
 Dank moderner Medientechnik sind alle Präsentationen mit Video und einigen Photos jetzt online
http://tacksaamycket.blogspot.com/

Sonntag, 13. Dezember 2009

Skandinavien: Armut im Wohlfahrtswunderland


Zum Anlass des kommenden Europäischen Jahres zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung 2010 veranstaltete das Nordische Institut in Finnland, das Informationsbüro des Nordischen Mininsterrats "Norden im Fokus" gemeinsam mit den Zeitungen le Monde diplomatique und Ny Tid am 25. November 2009 ein Seminar in Helsinki (mit live Schaltungen nach Stockholm, Kopenhagen und Reykjavik).
Das Thema "Was sind die Kosten der Armut - Perspektiven aus den Nordischen Ländern" wurde von Wissenschaftlern aus allen Ländern Skandinaviens diskutiert.
Asbjørn Wahl, Mitglied im Koordinationskomittee von Forum Soziales Europa und Gewerkschaftsberater, antwortete im politischen Kontext des norwegischen Wohlfahrtsstaates als soziale und demokratische Errungenschaft. Professor Markus Jäntti vom Institut für Sozialforschung an der Uni Stockholm griff das Feld der Kinderarmut in Finnland heraus. Professor Stefan Olafsson vom sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut an der Universität Island konnte vor plötzlich sehr aufmerksamen Publikum über den Fall des Wikingerkapitalismus und seine Folgen für Island berichten. Professor Peder Pederson vom Institut für Ökonomie an der Uni Aarhus, Mitglied des Dänischen Nationalzentrums für Wohlfahrtsforschung, schließlich gab einen generellen empirischen Überblick zu dänischer Armut um dem Volksglauben von der Ausrottung der Armut entgegenzutreten. 

Am lautesten und erfrischesten war Asbjørn Wahl. Als Redner geschult auf den Feiern zum Ersten Mai und auf den Europäischen Sozialform wie auch dem Weltsozialforum gab er den resigniert-liberalen ordnungspolitischen Litaneien Konter. Das Jahr 1979 ist die Scheide: Im selben Jahr als der Nordische Rat die Ausrottung der Armut verkündete, markierte mit der Ölkrise eine Wende des Weltfinanzsystems und den Aufstieg eines neuen Wirtschaftsliberalismus als Leitideologie. Selbst im abgeschotteten linkssozialdemokratischen Norwegen steigt die Armut hand in hand mit neuen, höheren Kapitaleinkommen. Asbjørn Wahl sieht eine wechselseitige Abhängigkeit von Ausbreitung der Arbeit und Akkumulation von Reichtum. Maxime seiner Analysen ist
"The problem of poverty is to be studied first at its sources and secondly in its manifestations". - Richard Tawny, 1931
Für Asbjørn Wahl ist die Existenz von Wohlfahrt und Armut ein Ergebnis der Machtverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit. Wohlfahrtsstaatlichkeit heißt Fortschritt in den Lebens- und Arbeitsbedingungen. Mit Verschiebungen der Machtverhältnisse wird die Wohlfahrtsfrage, die Frage nach der Verteilung des Reichtums, neu gestellt. Dies nennt Wahl gesellschaftliche Macht, deren Basis die Kontrolle über und Eigentum an Kapital und Ressourcen ist. So ist der Wohlfahrtsstaat Ergebnis gesellschaftlichen Kampfes, dessen Basis die Mobilisierung der Bevölkerung ist. Der soziale Frieden ist nicht die Ursache des Wohlfahrtsstaates sondern eher ein (einseitiger) "Waffenstillstand". Die Essenz des Wohlfahrtsstaates ist, große Bereiche der Wirtschaft aus dem Markt herauszunehmen und demokratischer Steuerung zu unterwerfen. Asbjørn Wahl geht hier in die Opposition zum marktwirtschaftlichen Denken an sich und stellt sich in die Tradition reformistischen Denkens einer totgeglaubten Sozialdemokratie.
Von den 1930er Jahrn bis in die 80er sieht Wahl eine Epoche der Kapitalregulation. Kapitalverkehrskontrollen, Kreditkontrollen, staatliche Investitionsmonopole, starre Wechselkurse, Arbeitsgesetzgebung und ein gewaltiger öffentlicher Sektor wurden entwickelt. All das wird als Machtressource verstanden, die jetzt in den Händen der Gesellschaft liegt. Diese Macht, auchals solche buchstäblich verstanden, ist für Asbjørn Wahl Vorraussetzung des Wohlfahrtsstaates. So sehr auch Wahl Verteidiger des Wohlfahrtsstaates ist, hat der jedoch für ihn zwei verschiedene Charakteristiken. Zum einen bietet der Wohlfahrtsstaat Sozialversicherungen, soziale Leistungen, reale Umverteilungen, ja sogar Keime einer Vision einer anderen Gesellschaftsform. Zum anderen jedoch ist ihm der Wohlfahrtsstaat eine Reparaturwerkstatt eines "brutalen und inhumanen Wirtschaftssystems", das Arbeitslosigkeit, Entmündigung und Gesundheitsprobleme hervorbringt. Sarkastisch wird Arthur Balfour zitiert:
"Social policy is the most effective antidote to socialism."
Staatliche Wohlfahrt also, in Deutschland kennt man das aus dem Geschichtsunterricht, als Werkzeug zur Deradikalisierung der Arbeiterbewegung.
Zurück zu 1979, das für Asbjørn Wahl der Drehpunkt ist, an dem in der Krise der Sozialpakt zusammenbricht. In der neo-liberalen Offensive werden Regulierungen abgebaut, der öffentliche Sektor ist am Schrumpfen und die Armut kehr zurück. Diese Umverteilung ist eine Verschiebung des Gleichgewichts der Kräfte. Von öffentlich zu privat, von der Arbeit zum Kapital, von den Armen zu den Reichen. Im Schritt mit steigender Ungleichheit und versträktem Druck auf den Wohlfahrtsstaat vergrößern die reichsten 10% der norwegischen Bevölkerung ihren Anteil am Volksvermögen auf über 30%. Heutzutage diagnostiziert Wahl eine regressive Gesellschaftsordnung. Wirtschaftsaufschwünge haben keine Auswirkung auf die Armut und eine soziale Reproduktion der Armut nimmt ihren Lauf. Während Armutsbekämpfung von staatlicher Seite versagt, wächst die Unterstützung für rechten Populismus.
Das System der "Workfare", in Deutschland umgesetzt als "Fördern und Fordern" in Form der sogenannten "1 Euro-jobs", sieht Asbjørn Wahl als Barriere zu Wohlfahrt. "Workfare" verstärkt das Konzept homo oeconomicus und sieht statt strukturellen Gründen der Arbeitslosigkeit mangelnde Arbeitsethik und Arbeitsanreize als das zu bekämpfende Problem. Diese von Thatcher angestoßene Form der Sozialpolitik ist inzwischen europäisch etabliert sowohl bei Sozialdemokraten als auch bei Konservativen und wird von akademischer Seite nur von wenigen, unter ihnen John Veit-Wilson, widersprochen. Jedoch ist "Workfare" nur ein Symptom eines größeren Paradigmenwandels: Risiken werden individualisiert, mehr und mehr Bereiche werden dem Markt ausgesetzt, universale soziale Rechte werden in einkommenabhängige Leistungen umgewandelt, private management Methoden werden weitreichend eingesetzt und die öffentliche Hand (und damit die demokratische Gesellschaft) ihrer Macht beraubt. Als Alternative zu staatlicher Wohlfahrtsvorsorge wird private Mildtätigkeit propagiert.
Mit dieser Politikentwicklung geht der Niedergang der europäischen Sozialdemokratie einher. Konservativ-liberale Regierungen und Meinungsführer gewinnen langfristig Boden, trotz der proklamierten "Neuen Mitte" von Blair/Schröder vor 12 Jahren. Asbjørn Wahl meint hier, eine grundlegende ideologische Krise in der Linken reflektiert zu sehen. Wahl´s Lösungsansatz ist jedoch nicht ein Kampagnengewitter der sozialen Bewegungen und Nicht-Regierungsorganisationen. Er fordert, Machtquellen zu identifizieren, Konzentration auf Beschränkungen des Marktes und auf eine breite soziale Mobilisierung hinzuarbeiten. Machtzugewinne der Gewerkschaften und der Linken müssen spürbar werden durch umgehende Steigerung der sozialen Leistungen.

Das Überraschende an Asbjørn Wahls Vortrag war jedoch die Reaktionen auf ihn. Anstand ihn in die linke Ecke zu schicken zu schmollen wurde sein klassenbwusster Standpunkt, ich kann es kaum anders formulieren, als selbstverständlich hingenommen und von dieser Perspektive diskutiert. Professor Pedersen versuchte zwar später das Seminar wieder in empirisch sozialliberale Gewässer zu leiten, doch scheint die sakndinavische Öffentlichkeit, soweit man bei Wissenschaftlern, Journalisten, Intellektuellen und Doktoranden von Öffentlichkeit sprechen darf, von einer liberalen Diskurshegemonie weit entfernt. Vielleicht kein Löwe, doch ein Hoffnungsschimmer aus Mitternacht.

Markt wird gemacht: Deutsch-Finnische Wirtschaftsförderung

Wenn Invesitionsbroschüren oder web sites des Wirtschaftsstandortes durchgeblättert werden, sieht das alles sehr, sehr frisch und nach Hochtechnologie aus. Dennoch steht noch keine Exportwirtschaft rein auf Silizium und Dienstleistungen.
Zwar machen die großen der Branchen auch den großen internationalen Handel aus. Dennoch gehören die kleinen und mittleren Unternehmen und ihre Aktivitäten zur Wirtschaftsinfrastruktur. Von deutscher Seite aus tritt hier das Netz der Außenhandelskammern auf den Plan. Nach dem Vorbild der deutschen lokalen Industrie- und Handelskammern tragen deutsche und einheimische Firmen gemeinsam einen Verein, der in Kooperation mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft, Unternehmerverbänden und Wirtschaftsförderungsgesellschaften Dienstleistungen erbringen. Die AHKs unterstützen die Geschäftspartnersuche, erstellen Markstudien, machen Standortberatung und geben Rechts- und Steuerauskünfte. Im Fall Deutschlands ist hier das Feld Messevermittlung von besonderer Bedeutung.


Im finnischen Fall existiert die Deutsch-Finnische Handelskammer (Saksalais-Suomalainen Kauppakamari) und ihr (jedoch rein exportorientierter) Gegenpart Finpro. Die Bundesrepublik ist, auch "mithilfe" der aktuellen Wirtschaftskrise, der wichtigste Handelspartner für Finnland.
Handel mit Deutschland machte im Januar 2009 (noch vor Schweden, der Russischen Föderation und den USA) 10,5% des finnischen Exports oder 2,3 Milliarden EUR aus. Der Import aus Deutschland hat ein Volumen von 15,1% der Importe nach Finnland oder in absoluten Zahlen 3,2 Milliarden EUR. Die Bundesrepublik löste die Sowjetunion nach ihrem Zusammenbruch als größter Handelspartner Finnlands ab und generiert seitdem 10 - 15% des finnischen Außenhandels. Der derzeitige Abstand zu den Mitbewerbern wird durch die Wirtschaftskrise verstärkt, die etwa den Handel mit der Russischen Föderation weitaus stärker trifft als den deutsch-finnischen Handel. So ist seit 2007 der russisch-finnische Handel um etwa 50% eingebrochen, während 2008 der deutsch-finnische Handel um "nur" 30% zurückging. Der russische Export nach Finnland ist jedoch vor allem Öl. Im Bereich der Waren und Dienstleistungen sind die Länder der Europäischen Union, allen voran Schweden, die größten Konkurrenten Deutschlands um den finnischen Markt.
Im Jahr 2008 machten Importe aus Finnland 1,0% (8,1 Milliarden EUR) des deutschen Importvolumens aus. Im gleichen Zeitraum exportierte die deutsche Wirtschaft 1,0% (9,9 Milliarden EUR) ihres Volumens nach Finnland. In absoluten Zahlen ist damit Finnland zwar weit abgeschlagen hinter den wichtigsten Handelspartnern, den Niederlanden (Import) und Frankreich (Export), im pro Kopf Verbrauch jedoch kauft ein Finne mehr deutsche Produkte als jeder Franzose.
Das Portfolio des deutschen Exports nach Finnland ist geradezu klassisch zu nennen. Jeweils etwa ein Fünftle machen Autos, Maschinenbau und Elektrotechnik aus. Weiterhin wichtig sind Chemie (15%) und Metalle (10%). Im starken Wachstum begriffen ist die Lebensmittelindustrie (5%), seit Lidl in den finnischen Markt eingestiegen ist und deutsche Marken sich in die Regale der finnischen Supermarktkooperativen eingekauft haben. Das mittelfristige Projekt der Deutsch-Finnischen Handelskammer ist, bei deutschen Drogerieketten Interesse für den finnischen Markt zu wecken, wo diese Form des Einzelhandels unbekannt ist. Die AHK verspricht sich davon, den von Konsumgenosschenschaften und Landwirtschaftskooperativen beherrschten Einzelhandelsmarkt aufzumischen und das Preisniveau zu senken.
Nahezu ein Viertel des finnischen Exports nach Deutschland machen Papier und Papiererzeugnisse aus. Metalle, vor allem Stahl, 17%, Elektrotechnik 14%, Maschinen 10% und 4% Holz. Elektrotechnik ist hier nahezu ein Synonym für Nokia, Finnlands größten Konzern und Weltmarktführer auf dem Mobilkommunikationsmarkt. Im weiteren werden Autos mit 6% gezählt, was größtenteils dem Porschewerk in Finnland zuzuschreiben ist, sowie 4% (aus Russland stammendem) Öl.
Wichtig in den nächsten Jahren wird sein, ob die nachlassende Bedeutung der finnischen Papierindustrie aufgefangen werden kann. Umgekehrt ist interessant, dass die Reiseweltmeister mit 84,7 Milliarden EUR Ausgaben für Tourismus gerade 0,4% in Finnland ausgeben. Hier, in einem Bereich, wo Bauchentscheidungen mindestens so wichtig sind wie der Preis für den Flieger, stoßen deutsche Behäbigkeit und finnische Technikbegeisterung aneinander: Selbst auf Tourismusmessen in Deutschland verweisen finnische Repräsentanten auf eine web site, während in der Mehrzahl der deutschen Haushalte noch Prospekte gehortet werden.






Für alle Daten ist die Quelle, soweit nicht anders angegeben, eine Vorlesung von Bernd Fischer am 24. November 2009, Verantwortlicher für Öffentlichkeitsarbeit an der Deutsch-Finnischen Handelskammer an der Handelshochschule Helsinki (Helsingin Kauppakorkeakoulu), einer der Zweige der Aalto Universität (Aalto yliopisto) in Gründung.