Montag, 25. Februar 2013

Wohin geht Venezuela?

André Scheer, Falko Blumenthal und Dr. Thomas Keslter
Photo: Matthias Rüby/ matthiasrueby.de
Für den 22. Februar 2013 wurde ich vom Jungen Forum der Gesellschaft für Außenpolitik eingeladen, eine Vortrags- und Diskussionsveranstaltung im Amerika Haus München zu moderieren.

Referenten waren André Scheer, Journalist und Chef des Auslandsressorts der jungen Welt, der seit Ende der 1990er Jahre zu Venezuela publiziert und im Januar eine Reportagensammlung aus dem Wahlkampf herausgegeben hat, und Dr. Thomas Kestler, der über seine Abschlussarbeit, seine Dissertation und seine aktuelle Forschungsarbeit die Entwicklungen des politischen Systems Venezuelas verfolgt hat.


 

Ende des Jahres 2012 gewann Hugo Chavez, trotz seiner schweren Krebserkrankung, eine weitere Präsidentschaftswahl in Venezuela. Seine Regierungskoalition aus der PSUV (Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas) und weiteren linken Parteien, u.a. der Kommunistischen Partei, regiert seit 1999. In dieser Zeit wurde die Ölproduktion verstaatlicht. Neben die konservative Verwaltung wurde ein auf den Präsidenten ausgerichtetes System von Programmen, sogenannte „Missiones“ zur Armutsbekämpfung, medizinischen Versorgung und Alphabetisierung der Slums errichtet. In der Auseinandersetzung mit den privatwirtschaftlichen Medien wurde der öffentlich-rechtliche Rundfunk ausgebaut und ein Netzwerk von Nachbarschaftssendern entwickelt.

Massive Umbrüche in der Sozialstruktur schlugen sich in politischen Auseinandersetzungen nieder. Putschversuche, Amtsenthebungsreferenda und Klagen vor dem Obersten Gerichtshof scheiterten genauso wie oppositionelle Wahlbündnisse der ehemaligen Venezuela wechselseitig regierenden Kartellparteien. Westliche Beobachter fühlen sich angesichts dieser Kombination von Sozialprogrammen, umfassender Politisierung der Bevölkerung und Beschneidung der Vorrechte der weißen Oberschichten an den Peronismus erinnert. Die PSUV und ihre Verbündeten selbst sprechen von der Bolivarischen Revolution, i.e. der Fortführung des antikolonialen Kampfes Simon Bolivars hin zu einem Sozialismus des 21. Jahrhunderts.

Auf internationaler Ebene erreichte Huge Chavez Aufmerksamkeit durch seinen Schulterschluss mit der kubanischen Regierung. Gemeinsame Rhetorik gegen die USA ging einher mit intensiver wirtschaftlicher Kooperation in Form von wissenschaftlich-technischer Entwicklungshilfe vonseiten Kubas und massiver venezolanischer Ölgeschenke an die sozialistische Inselrepublik. Nach Konfrontationen in der Organisation Amerikanischer Staaten begründeten Venezuela und seine Verbündeten die wirtschaftspolitischen Allianzen Mercosur und ALBA. Ziel ist eine in der Karibik und Nordlateinamerika geltende gemeinsame Währung und Integration der Wirtschaft der Großregion in Abgrenzung zu den Vereinigten Staaten. Zu den Partnern in der Region gehören vor allem Bolivien unter Evo Morales (Bewegung für den Sozialismus) und Equador unter Rafael Correa (Vaterlandsbewegung).

In einem Paradebeispiel von neorealistischem Counter-Balancing kooperiert Venezuela mit Staaten außerhalb der westlichen Einflusssphäre. Hier hat die Volksrepublik China eine besondere Bedeutung, die eine Reihe von Industriekooperationen mit Venezuela, aber auch mit dem linkssozialdemokratisch regierten Brasilien, im Rahmen der Süd-Süd-Kooperation durchführt. Zu erwähnen ist hier Telesur, ein lateinamerikanisch ausgerichteter Fernsehsender, der dank chinesischer Satelliten weltweit und unabhängig von privatwirtschaftlich gehaltenen Kabelnetzen empfangbar ist. Venezuela ist ein wichtiger Kunde der russischen Militärindustrie, Hugo Chavez setzt vor allem auf Kleinfeuerwaffen und Helicopter, kurz den Krieg in den Bergen und Wäldern. Auch mit dem Iran bestehen Handelsbeziehungen, vor allem in der Hochtechnologie.

Das erste Quartal 2013 ist beherrscht von der Debatte, ob ein kranker Präsident zeitweise die Regierungsgeschäfte abgeben darf, ob es legitim ist, den von der Verfassung vorgegebenen Zeitpunkt der Vereidigung wegen der Krebserkrankung zu verschieben, ob die Bolivarische Revolution ohne ihre mobilisierende und Zusammenhalt stiftende Figur Chavez weiterhin eine Chance hat. Dies vor dem Hintergrund einer Legitimitätsdebatte, ob Massendemonstrationen, Volksabstimmungen und Wahlen ausreichende Kriterien sind für ein demokratisches System und der durch die sozialistischen Umgestaltungen hervorgerufene Destabilisierung der Industrie und des Handels in Venezuela.

Die Herausforderung der Veranstaltung bestand darin, ein geteiltes Publikum, in dem sich Offizierskandidaten der Bundeswehr-Universität und Kommunistinnen mischten, mit der Moderation eines kritischen Politikwissenschaftlers und eines optimistischen Journalisten zu verbinden.

Ich habe mich über die Herausforderung gefreut und bin dankbar, dass die Studierenden vom Jungen Forum so undurchschaubaren und mehrdimensionalen Themen wie der Bolivarischen Revolution in Lateinamerika ihre Energie widmen. Mit über 85 Teilnehmern war der Veranstaltungsraum im Amerika Haus etwas zu voll. Dennoch war die Debatte sachlich, bei guter Atmosphäre und sowohl venezolanische Studenten als auch deutsche Lehrer konnten neue Ideen mit nach Hause nehmen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen