Samstag, 9. Januar 2010

Jahresauftakt: Finnland gründet die Aalto Universität

In diesem Blog schon zig-mal erwähnt: Mit den 1. Januar 2010 hat die Aalto Universität Helsinki ihre Arbeit aufgenommen. Die Aalto Universität entsteht aus dem Zusammenschluss der Technischen Hochschule Helsinki (TKK), der Handelshochschule (HSE) und der Hochschule für Kunst und Design Helsinki (TaiK). Die drei Institutionen bestehen als "schools" weiter und werden durch interdisziplinäre "factories" und Forschungsgruppen ergänzt. Die Universität, konzipiert als "Finnische Universität für Innovation", trägt den Namen des Architekten (und Universalkünstlers) Alvar Aalto.

Das Ziel ist, drei der besten Hochschulen Finnlands zusammenzuführen und bis 2020 eine weltweit führende Forschungs- und Lehruniversität zu etablieren.


Zum Auftakt des finnischen Frühjahrssemester lud die Aalto Universität zru Eröffnungszeremonie in die Finlandia Halle. Grußworte, Chöre, Tanzdarbietungen und sogar ein Second Life-Auftritt wetteiferten um Darstellungen der Modernität. Trotz Anwesenheit der Präsidentin, Tarja Halonen, des Premierministers, Matti Vanhanen, und Mitgliedern der gesellschaftlichen, staatlichen und militärischen Elite Finnlands, blieb die normalerweise geradezu zelebrierte Traditionalität den Uniformen der Studentenverbindungen und einem herzhaften "Gaudeamus Igitur" zum Einmarsch der Honorationen vorbehalten. Der gesamte Festakt sollte Frischheit, Modernität und Internationalität (sprich: angelsächsische Orientierung) demonstrieren: Studentische Moderatoren, Verzicht auf nationale Symbolik und englischsprachige Grußworte (nur unterbrochen durch finnische und schwedische Kommentare) wollen von einem großen Schritt hin zu einem "global wettbewerbsfähigem Finnland" (Tarja Halonen) überzeugen.


DIe Grußworte der Präsidentin der Republik und des Premierministers geben ein anschauliches Bild des Elitendiskurses in einem nordischen Wohlfahrtsstaat, das mit anderthalb Beinen im innovationsgetriebenen globalisierten Westen steht. Tarja Halonen ist eine zeitgenössische Mitte-Links Politikerin. Die Juristin machte ihre ersten Schritte in der mächtigen Studentenunion der Universität Helsinki und diente als Mitglied des Stadtrates von Helsinki. Auf der einen Seite stammt sie aus dem traditionellen Arbeiterbezirk Kallio, zum anderen verdiente sie ihre Sporen unter Anderem in der Bewegung für die Rechte der Schwulen und Lesben. Die Sozialdemokratin Tarja Halonen nimmt die Melodie der Aalto-Gründung auf und betont die Herausforderung und Anforderung, neue Formen der Kooperation und Kommunikation zwischen der Aalto Universität und der Gesellschaft und Wirtschaft zu finden. Aalto, als öffentliche Stiftungsuniversität, hat mehr Freiheiten als übliche öffentlich-rechtliche Körperschaften und für finnische Verhältnisse ein gewaltiges Budget. Beides ist Startkapital für den Eintritt Finnlands in die globale Wettbewerbsfähigkeit. Soweit der Pflichtteil. Ihre Betonung liegt jedoch auf dem finnischen Stolz auf eine lange Tradition als Bildungsnation und Wohlfahrtsstaat. Hohe Qualität der Lehre und Forschung gehen Hand in Hand mit gleichberechtigtem Zugang zu Bildung und Ausbildung, unabhängig von sozialer Herkunft und religiöser, weltanschaulicher und sexueller Identität. Tarja Halonen greift die Diskussion um den großen Einfluß der Privatwirtschaft im Stiftungsrat der Aalto Universität auf. Trotz der Bedeutung des Anschlusses der Universität and die Bedürfnisse von Technologie und Betrieben, erinnert sie an die dienende Funktion des Kapitals:
"Geld ist ein guter Diener, aber ein schlechter Herr"
- Tarja Halonen, 8. Januar 2010
Die finnische Präsidentin sieht Bildung als Werkzeug (im sozialdemokratischen Sinne), mit dem Menschen ihr eigenes Leben meistern können. Die internationale Ausrichtung der Aalto Universität soll zum einen ein Umfeld für Forscher und Studenten aus der ganzen Welt schaffen, zum anderen einen Beitrag zu den finnischen Bemügungen um die Milleniumsziele der Vereinten Nationen leisten. Bis zum Jahr 2020 steht die Erwartung, die Aalto Universität Helsinki an die Weltspitze zu bringen.

Matti Vanhanen, Premierminister und scheidender Vorsitzender der Zentrumspartei, ist von anderen Skrupeln gelenkt. Der europaskeptische Mitte-Rechts Politiker ist studierter Politikwissenschaftler und gelernter Journalist. Matti Vanhanen gilt  innerhalb der Zentrumspartei als liberal und setzte umfangreiche Steuersenkungen und Reformen des nordischen Wohlfahrtsstaates durch. Vanhanen gönnt zumindest der Tradition der drei Gründungsinstitutionen der Aalto Universität einleitende Worte auf Finnisch. Wichtiger ist ihm jedoch, auf Englisch, die Position finnischer Unternehmen im internationalen Vergleich. 40% der finnischen Produktion gehen als Exporte ins Ausland. Finnische Unternehmen, allen voran Nokia, stellen sich als globale Konzerne aus. Daher, laut Vanhanen, müssen die Universitäten des Landes an den Bedürfnissen globaler Konzerne ausgerichtet werden. Die Aalto Universität ist zum einen Finnlands Antwort auf die Globalisierung. Zum anderen ein Kernbestandteil der Reform des nationalen Innovationssystems. Matti Vanhanen sieht Finnland nicht mehr an der "oberen rechten Ecke der Landkarte" sondern, "global" gesehen, ein Zentrum der (technologischen und ökonomischen Welt), was durch die Ansiedlung einer der Einheiten des EIT (Europäisches Institut für Technologie) bei der Aalto Universität nur noch unterstrichen wird. Die Aalto Universität Helsinki ist kein Bestandteil eines nationalen Entwicklungsplans, sondern ein Element einer globalen Regionalisierung. Konkret wird der Premierminister beim Schlachten einer heiligen Kuh des sozialdemokratischen Wohlfahrtsideals: As bald als möglich soll Bildung und Studium an finnischen Universitäten ein "Produkt" werden, das an Studieninteressierte außerhalb der Europäischen Union verkauft werden soll. Nachdem das "Neue Universitätsgesetz" von 2009 hierfür die Grundlagen gelegt hat, hofft Matti Vanhanen auf schnelle Umsetzung der Kommerzialisierung des Studien- und Weiterbildungsangebots.

Mehr erdverwurzelt erklärte sich die Präsidentin der Aalto Universität, Tuula Teeri. Die Finnlandschwedin ist Biotechnologin und lehrt mit dem Schwerpunkt Molekulargenetik in Helsinki und Stockholm. Sie ist sowohl Mitglied der Finnlandschwedischen Akademie der Wissenschaften als auch der Schwedischen Königlichen Akademie der Wissenschaften. Tuula Teeri sieht die Aalto Universität konfrontiert zum einen mit einer neuen Form der Freiheit als auch mit der Verantwortung, Weltniveau zu erreichen. Die finnische Ressource hier ist Sisu, die identitätsgebende finnische Eigenschaft der Ausdauer und Beharrlichkeit. Sisu hat die Finnen durch Krieg, Industrialisierung und viele lange Winter gebracht, nun soll es Aalto nach vorne bringen.
Die Mission der Aalto Universität sieht Teeri in der Ausbildung von Experten, Visionäre zu werden. Drei wichtige Reformen soll die neue Universität umsetzen, um dieses Ziel zu erreichen. International attraktive Arbeitsbedingungen für Studierende und Forscher sollen geschaffen werden. Kreative und vorraussetzungslose Grundlagenforschung soll die Basis der Universität werden. Tuula Teeri betont hier die Entwicklung der Kunst, welche sie als Grundlagenforschung für Design und Architektur ansieht. Die wichtigste Reform im Rahmen der Aalto-Gründung ist die Einführung des "tenure track" nach internationalem Maßstab. Die Attraktivität der Aalto Universität als Arbeitsplatz soll gesichert werden, indem für die nächsten zehn Jahre 20 bis 40 neue unbefristete Arbeitsplätze im Lehr- und Forschungsbetrieb gesichert werden. Angemessenes Management und Führungsverantwortlichkeit soll trainiert und honoriert werden.
Als ein kleines Land benötigt Finnland einen Fokus auf die Bereiche, in denen bereits eine Führungsrolle erreicht ist. Die zwei erfolgreichsten Einheiten an der Aalto Universität sind Angewandte Physik und die Informatik. 17 weitere Einheiten der Universitäten wurden als auf hohem internationalen Standard evaluiert und bilden die Prioritäten der Entwicklungsstrategie. Um eine erfolgreiche Universität zu werden, ist internationale Beachtung und Anerkennung für Tuula Teeri essentiell. Die Ansiedlung einer der Einheiten des Europäischen Instituts für Technologie (EIT) bei der Aalto Universität und die Ausrufung Helsinkis zur Design Capital 2012 sind ihr Ausdruck in das internationale Vertrauen auf die Entwicklung der Aalto Universität.
Teeri möchte die Universität nach außen öffnen und mit Offenen Lernzentren, Angeboten für Berufstätige und Firmen und Einbindung von Persönlichkeiten der Wirtschaft und Zivilgesellschaft in die Lehre die Aalto Universität in die finnische Gesellschaft integrieren. Wichtige Partner innerhalb der Universität sind ihr die Studierenden: Sie versteht Lernen als Forschen. Konkret sogar sollen die Studenten zu Mitgliedern der Forschungsgemeinde an der Aalto Universität werden. Als, im besten Fall sogar ironisch gemeinte, Verbeugung in Richtung der Studierenden addressiert Tuula Teeri sie als Second Life Avatar im Internet und auf Großleinwand. Sie verspricht viel. Die Lehre soll ausgebaut werden und mehr Lehrbeauftragte angestellt werden. Verdienste um die Lehre sollen genauso honoriert werden wie Verdienste um die Forschung. Fernstudium und Projektunterricht auf nationaler und internationaler Ebene mit Partnerhochschulen soll etabliert werden. Die Studentenschaft soll in der gesamten Hochschulhierarchie der Aalto Universität vertreten sein und aktiv and der Führung der Universität beteiligt werden. Mit den interdisziplinären Master-Studiengängen und dem interdisziplinärem Bacherlor-Programm soll die Vorraussetzung für die Ausbildung von Visionären geschaffen werden. Im hypermodernen digitalen Raum, zur Gründung einer auf Fortschrittszuversicht gegründeten Universität, verkündigt die Aalto-Präsidentin die Alma Mater Studiorum.

Viele, viele Worthülsen sind gefallen. Das scheinbare Ziel ist, das gesamte Vokabular der zeitgenössischen Hochschuldebatte auf die Aalto Universität anzuwenden. Auch Jussi Valtonen, Präsident der Studentenschaft, und Yrjö Sotamaa, Initiator der Gründung der Aalto Universität und ehemaliger Präsident der Hochschule für Kunst und Design Helsinki, verbleiben im Tenor der Festveranstaltung.
Der Festakt wird zur Prozession von der Finlandia zum Museum für Moderne Kunst Kiasma, die Prozession wird zum Empfang für die Honorationen, die Debatte um die Aalto Universität und die strategische Ausrichtung der Hochschulen geht weiter.

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